Mein erster Marathon

Es ist vollbracht – ich bin einen Marathon gelaufen – ich bin Marathoni!

Was für ein Gefühl! Alles zu verarbeiten und innerlich zu ordnen wird sicher noch eine Weile dauern. Aber jetzt, drei Tage nach dem großen Tag, kann ich es denke ich langsam in Worte fassen.

Die Tage davor
So viele Wochen habe ich, genau wie alle anderen Läufer, auf den einen Tag hingearbeitet. Und dann war es irgendwie ganz plötzlich soweit. Die letzten zwei Wochen vor dem Marathon drehte sich gefühlt alles nur noch darum. Ständig schweiften die Gedanken dorthin und der Magen machte jedes Mal einen aufgeregten Hopser.
Da ich in Berlin wohne und zentral arbeite, habe ich miterlebt wie die Stadt sich auf das Marathonwochenende vorbereitet hat. Die angekündigten Halteverbote, die Fahnen, die blaue Linie. Beim Anblick der Fahnen am großen Stern sind mir kurz vor dem Wochenende beinahe die Tränen gekommen. Es ist faszinierend was „das Projekt Marathon“ mit einem macht. Mein soziales Umfeld war sehr geduldig und hat mein andauerndes Gerede darüber hingenommen. Diese letzten zwei Wochen waren außerdem meine Tapering-Phase. Das heißt ich habe das Training reduziert und meinem Körper die Möglichkeit gegeben seine Energiereserven zu füllen. Ich habe mich ziemlich bewusst ernährt und die letzten Tage vor dem Marathon gefuttert ohne Ende – Carboloading.
Die Marathon-Expo öffnete bereits am Donnerstag ihre Pforten und ich bin auch direkt hingegangen. Einerseits wollte ich den von mir vermuteten Andrang am Samstag umgehen (der dann auch wirklich immens war) und andererseits wollte ich einfach meine Startnummer in Händen halten. Das und das erste bisschen Marathongefühl aufnehmen. Auf der Expo habe ich mir den unteren Rücken tapen lassen, was eine unheimlich gute Idee war. Ich fühlte mich gestützt und hatte keinerlei Probleme mit diesem Bereich. Mit Marathon-T-Shirt und Startnummer sowie Armband, Kleiderbeutel und Zeitschrift ging es nach Hause und das Abenteuer war ein Stück realer. Richtig greifbar war es für mich aber dennoch nicht. Freitag noch einmal arbeiten, dann noch zweimal schlafen. Am Samstag bin ich nochmal eine kleine Runde von 3 km gelaufen, mein persönlicher Frühstückslauf.
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Dann habe ich mich mit meiner Mama zusammengesetzt und noch einmal ganz genau die Strecke studiert, besprochen wann ich ungefähr wo sein würde und an welchem Punkt sie und mein Bruder mit seiner Freundin für mich an der Strecke stehen. Ein lieber Bekannter hat mich wissen lassen wo er an der Strecke für mich da ist und ich habe das Tracking eingerichtet, damit man mich „verfolgen“ kann. Denn alle 5 Kilometer würde die Zwischenzeit gemessen werden und so würde man den Fortschritt live verfolgen können.
Leider waren die letzten Tage unglaublich verregnet (kann es wirklich so viel regnen?!) und auch die Vorhersagen für Sonntag ließen erahnen, dass wir nicht trocken davon kommen würden. Die Temperaturen sahen auch eher mittelmäßig aus. Jeder fragte sich – was zieh ich an? Ich habe viel überlegt, aber ich tendiere einfach dazu, dass mir beim Laufen zu warm ist. Außerdem stellte ich mir eine vom Regen durchnässte lange Hose sehr unangenehm vor und entschied mich für die kurz-kurz-Kombi. Ich habe meine Kleidung parat gelegt, den Chip am Schuh befestigt, den Kleiderbeutel gepackt, den meine Mama für mich mitnehmen würde, und am Sonntag war es dann soweit.

Der Marathon-Tag
Sonntag früh um 6 klingelte der Wecker, aber ich war ohnehin seit 4:30 Uhr wach. Also aus den Federn gesprungen und einen Toast mit Schokoaufstrich verputzt. Das und eine Banane sind mein übliches Frühstück vor einem Lauf und sonst für mich völlig untypisch. Die Banane wanderte allerdings in die Tasche für später. Komischerweise war ich im Gegensatz zum Nervenbündel der Vortage ziemlich ruhig. Ich habe ganz laut meine liebste Laufmusik angemacht und mich in meine Laufklamotten geschmissen und einen Pulli drüber, von dem ich mich später verabschieden würde. Sitzt alles, an alles gedacht und los. Mit dem Auto an die S-Bahn und dann ab zum Brandenburger Tor. Schon auf dem Bahnsteig habe ich weitere Läufer entdeckt und in der Bahn wurden es mehr und mehr. Durch die Fenster habe ich den Sonnenaufgang beobachtet und vor mich hingelächelt. Vom Bahnsteig die Treppen aufs  Brandenburger Tor zuzulaufen war irgendwie aufregend. Und da war dann auch schon volle Marathon-Euphorie um mich herum. Unzählige Menschen wuselten von a nach b und Grüppchen versammelten sich. Mein Weg führte mich vorbei am Reichstag zum Bundeskanzleramt, denn dort waren die „Oma-Läufer/innen“ zum Fototermin verabredet. Viele der insgesamt 204 „Omas“ haben sich dort versammelt, das war schön.

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Noch schien die Sonne. Immer mehr Menschen kamen zusammen, klar denn bereits um 9:15 Uhr würden die Läufer nach den Handbikern und Rollis auf die Strecke gehen. Mein Startschuss würde erst für die 4. Welle um 10:10 Uhr fallen. Ich begab mich aufs „Marathongelände“ stromerte über die Wiese vor dem Reichstag, lauschte den Berichten über Lautsprecher und sog alles in mich auf. Ich mümmelte meine Banane und trank noch ein bisschen Wasser.
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Dann machte ich mich auf den Weg zu meinem Startblock den ich dann kurz nach halb 9 betrat. Nochmal aufs Dixiklo, das noch erstaunlich frisch war, später waberten unerträgliche Duftnoten über das Gelände, dann stand ich in meinem Startblock. Eigentlich war ich überhaupt nicht aufgeregt. Vielleicht, weil es sich so vertraut anfühlte. Beim Halbmarathon und Avonlauf stand ich auch fast genau da.
Es füllte sich rasch und die Menge verfolgte über Videoleinwände, was viel weiter vorne am eigentlichen Start geschah. Die ersten Starts wurden bejubelt und mir kamen die Tränen. Da wusste ich, okay, emotional sieht es in mir also doch ganz anders aus. Erster Nieselregen, der wieder verebbte. Irgendwann war es noch eine halbe Stunde bis zu unserem Start, ich entschied mich für einen zweiten Dixiklobesuch und dann rückte unser Startblock auch schon auf. Es wurde ernst. Immer weiter ging es Richtung Start. Jacken und Pullover flogen an den Rand, so auch meiner. (Diese Kleidungsstücke würden gespendet werden.)

Der Marathon
Dann der Startschuss. Um 10:12 Uhr ging es für mich auf die Strecke, 42,195 km durch Berlin. Nicht nachdenken. Aber der Kopf war in diesem Moment eh aus. Von überall am Rand jubelten einem die Menschen zu und schickten einen auf die Strecke. Ich habe mir fest vorgenommen die Uhr im Blick zu haben und nicht schon wieder zu schnell zu starten. Das ist mir im Grunde auch gelungen, dennoch war ich leicht über meiner grob geplanten Pace für einen so langen Lauf. Im Training bin ich lange Läufe immer mit einer Pace über 7 Minuten gelaufen. Hier bewegte sie sich eher zwischen 6 und 6:30 Minuten. Die ersten Kilometer purzelten einfach so. Ich fühlte mich gut. Ich entschied mich dafür dieses Tempo zu halten solange ich konnte. Etwa eine Stunde blieb es trocken, 10 km Marathonstrecke lagen hinter mir und dann kam der Regen. Und er blieb. Anfangs störte das ein wenig, dann war es irgendwann komplett egal, alles war nass, mehrmals geriet ein Schwall Wasser in meine Schuhe und ich musste an Xletix denken. So hatte sich das sicher keiner gewünscht, aber es war nicht zu ändern. Also eben eine Wasserschlacht, gut. Wenn man nach 10 km laufen in den Regen kommt, dann hat man das Gefühl es regnet Salzwasser. Interessante Erkenntnis. Noch 9 km bis mein Bekannter das erste Mal an der Strecke auf mich warten würde. Super, das ist ja gleich. Und noch 29 km bis zu meiner Familie. Das klingt doch alles schon nicht mehr wie 42,195 km. Das schaffe ich. Die Stimmung an der Strecke war unglaublich. So viele Menschen trotzten dem Wetter und feierten am Rand. So viele Musiker sorgten für wunderschöne Momente an der Strecke, verliehen gute Laune und Energieschübe. Auch die gesamte Organisation war der absolute Wahnsinn. Pitschepatschenass aber fröhlich rannte ich also bei Kilometer 19 winkend an meinem Bekannten vorbei. Gleich kommt der nächste Messpunkt und dann noch ein bisschen, dann habe ich schon die Halbmarathondistanz geschafft. Bisher musste ich keine Gehpause einlegen und es ist mir sogar an den Versorgungspunkten gelungen mich im Vorbeilaufen zu bedienen und im Trab zu trinken.
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Halbzeit. Nichtmal mehr 20 km bis meine Familie am Rand steht. Es ging mir immer noch total gut. Weiter weiter. Meine Gedanken schweiften zum S25 im Mai und wie schwer mir diese 25 km gefallen sind, wie sehr ich da kämpfen musste. Kein Vergleich. Ich erreichte Kilometer 25 und strahlte. Nur noch 14 km bis zu meiner Mama! Noch 4 Kilometer bis zum Wilden Eber. Bis dahin halte ich durch, wenn ich dann eine Gehpause benötige, dann mache ich die. Meine Beine wurden nämlich etwas schwerer und ich nahm ein wenig Tempo raus. Ich nährte mich den Kilometern 30-35 wo „der Mann mit dem Hammer“ auf einen warten sollte. Würde er mich treffen? War ich gut genug vorbereitet um ihm zu entkommen? Der Mann mit dem Hammer – das bedeutet einen drastischen Einbruch. Die gespeicherten Kohlenhydrate sind dann endgültig aufgebraucht und der Körper muss sich die benötigte Energie über die Verbrennung von gespeicherten Fettzellen holen, was viel Sauerstoff und Energie aufsaugt. Ich passierte Kilometer 30. Keine 10 Kilometer mehr bis zu meiner Mama. Keine Gehpause bisher. Nur noch 12 km. 12 km mehr, als ich jemals gelaufen bin. Ich schaffe das. Kilometer 31. Immer mehr Läufer um mich herum gehen, stehen am Rand und dehnen sich, werden auf Liegen massiert. Das Bild ist ein komplett anderes als noch in den 20er Kilometern. Der Mann mit dem Hammer ist also da. Aber ich laufe weiter, wie ein Uhrwerk.
Kilometer 35, jetzt bekommt er mich nicht mehr, es ist nicht mal mehr eine halbe Stunde zu meiner Familie, es sind nur noch 7 km bis zum Ziel. Ich schaffe das. Jedes Mal wenn ich an meine Mama denke steigen Tränen hoch. Aber ich fühle mich immer noch gut. Ich werde dabei bleiben und keine Gehpause einlegen. Gehen kann ich im Ziel. Kann das sein, das ist ja unfassbar. Und dann kommt die Ecke über die wir erst Stunden zuvor auf dem Stadtplan gesprochen haben. Bülowstraße. Links abbiegen, die Straße verläuft dann in einem Bogen und dort werden sie sein. Mein Blick scannt die Menschenmenge und dann sehe ich sie, meine Mama, mein Bruder, mein „Schwippschwesterchen“. Energie und Emotionen durchfließen mich, ich laufe am Rand entlang und schaffe es alle drei abzuklatschen. Sie stehen da im Regen, nur für mich, und strahlen und jubeln. Wahnsinn. Nicht viel weiter steht wieder mein Bekannter, eine schale Cola reicht er mir, während ich an so vielen vorbeilaufe, die nur noch gehen können. Der Gendarmenmarkt, noch ein paar Mal abbiegen, dann werde ich auf die Straße Unter den Linden laufen und das Brandenburger Tor sehen. Ich werde einen Marathon schaffen. Unfassbar. Und da ist er schon dieser Moment. Auf dem Weg zum Brandenburger Tor ist nochmal eine wahnsinnige Stimmung an der Strecke, die Emotionen kochen über, kurz vorm Brandenburger Tor steht wieder meine Familie und schickt mich ins Ziel, Tränen kommen hoch. Dann bin ich auch schon durch das Brandenburger Tor gelaufen. Noch ungefähr 400 m. Meine Gefühlswelt ist irgendwo zwischen lachen und weinen und dann bin ich im Ziel. Ungläubig drehe ich mich um, ja ich bin durchs Ziel gelaufen.
Ich bin Marathon gelaufen. Ich habe es geschafft. Ich verfalle in Trab, weiß nicht wohin mit meinen Gefühlen und dann bekomme ich auch schon die Medaille umgehangen. Marathoni. Und dann melden sich die Beine. Ich bekomme eine Folie, wickel mich ein, fange unglaublich an zu frieren, die Waden zittern, das Gesicht strahlt. Wie auf Eiern laufe ich umher, suche eine Stelle um die Beine zu dehnen und innezuhalten. Um mich herum nur glückliche Gesichter die aus Folien oder Ponchos herauslugen. Weiter geht es Richtung Bier und dann zum Ausgang, zum Familientreffpunkt, zu meiner Familie.
Ich sehe sie und dann entdecken sie mich. Ich werde in die Arme geschlossen und begebe mich in ihre Hände. Umziehen, was essen, trinken „betreutes sein“ würde ich das mal nennen. Ich bin einen Marathon gelaufen und komplett überwältigt.
In einem ziemlich gleichmäßigen Tempo habe ich nach 05:03:23 Stunden die Ziellinie überquert und meinen ersten Marathon gefinisht.263703492_285143

Danach
Wir sind dann noch eingekehrt und haben uns den Bauch vollgeschlagen. Mein Magen hat das verkraftet, so wie mein Körper die komplette Strapaze verkraftet hat. Ich kann es immer noch nicht fassen.

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Ich habe abends ein heißes Bad genommen und Montag nochmal, außerdem die Beine gedehnt und mich ein bisschen mit der Faszienrolle gequält. Den restlichen Sonntag und auch am Montag hatte ich von der Hüfte an abwärts jede Menge unterschiedliche Schmerzen und konnte kaum gehen. Vom Sitzen wieder aufzustehen und in die Gänge zu kommen war eine Tortur. Aber gestern war es schon besser und heute noch ein bisschen besser.
Der Schmerz geht, der Stolz bleibt!

Eure Sarah

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